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Gedanken zum Evangelium - 10. Sonntag im Jahreskreis

„Den Teufel als Person gibt es nicht“

Den Schriftgelehrten gefällt das Auftreten Jesu nicht. Sie sagen: Jesus ist vom Teufel besessen. Der Theologe Jürgen Bründl entgegnet: Wer andere verteufelt, befördert das Böse.

Evangelium

In jener Zeit ging Jesus in ein Haus und wieder kamen so viele Menschen zusammen, dass er und die Jünger nicht einmal mehr essen konnten. Als seine Angehörigen davon hörten, machten sie sich auf den Weg, um ihn mit Gewalt zurückzuholen; denn sie sagten: Er ist von Sinnen.

Die Schriftgelehrten, die von Jerusalem herabgekommen waren, sagten: Er ist von Beelzebul besessen; mit Hilfe des Herrschers der Dämonen treibt er die Dämonen aus.

Da rief er sie zu sich und belehrte sie in Gleichnissen: Wie kann der Satan den Satan austreiben? Wenn ein Reich in sich gespalten ist, kann es keinen Bestand haben. Wenn eine Familie in sich gespalten ist, kann sie keinen Bestand haben. Und wenn sich der Satan gegen sich selbst erhebt und gespalten ist, kann er keinen Bestand haben, sondern es ist um ihn geschehen.

Es kann aber auch keiner in das Haus des Starken eindringen und ihm den Hausrat rauben, wenn er nicht zuerst den Starken fesselt; erst dann kann er sein Haus plündern.

Amen, ich sage euch: Alle Vergehen und Lästerungen werden den Menschen vergeben werden, so viel sie auch lästern mögen; wer aber den Heiligen Geist lästert, der findet in Ewigkeit keine Vergebung, sondern seine Sünde wird ewig an ihm haften. Sie hatten nämlich gesagt: Er hat einen unreinen Geist.

Da kamen seine Mutter und seine Brüder; sie blieben draußen stehen und ließen ihn herausrufen. Es saßen viele Leute um ihn herum und man sagte zu ihm: Siehe, deine Mutter und deine Brüder stehen draußen und suchen dich. Er erwiderte: Wer ist meine Mutter und wer sind meine Brüder? Und er blickte auf die Menschen, die im Kreis um ihn herumsaßen, und sagte: Das hier sind meine Mutter und meine Brüder. Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.

Markusevangelium 3,20–35

Herr Professor Bründl, warum ist der Teufel so faszinierend?

Die Rede vom Teufel ist eine ungeheuer wirkmächtige Inszenierung für Erfahrungen, die uns zutiefst betreffen: Krankheit, Leid, Naturkatastrophen. Das fasziniert und erschüttert zugleich. Das ist aber auch das Gefährliche an einer solchen Figur.

Das Evangelium spricht sehr selbstverständlich vom Teufel und von Besessenheit. Wer oder was ist der Teufel aus Ihrer Sicht?

Die Figur des Teufels gibt schlimmen Erfahrungen ein Gesicht. Diese Projektionsfläche macht vieles anschaulich. Ich halte es aber für Aberglaube und Fundamentalismus, wenn man die Existenz des Teufels etwa mit dem Existieren eines Tisches oder eines Menschen gleichsetzt. Im heutigen Verständnis von Wirklichkeit sage ich: Den Teufel als Person gibt es nicht. Noch mal: Das heißt aber nicht, dass die Figur und Konstruktion des Teufels unwichtig wäre für unser menschliches Leben.

Den Teufel gibt es Ihrer Ansicht nach gar nicht? Er ist nicht wirklich?

Dass die Figur einen Bezug zur Wirklichkeit des Menschen hat, steht außer Frage. Denken Sie an Harry Potter: Niemand glaubt wirklich an solche Zauberschulen, und doch erzählen diese Geschichten ganz Grundlegendes über unser Menschsein. Insofern ist auch nicht die Frage, ob es Harry Potter gibt, sondern welche menschlich relevanten Wirklichkeiten solche Inszenierungen für uns einfangen.

Der Teufel als Inszenierung: Sagt der Katechismus da nicht etwas anderes?

Der Katechismus wiederholt manchmal etwas naiv die Glaubenstraditionen in einer Sprache, auf die man nach meiner Auffassung aus heutiger Sicht reserviert schauen sollte. Ich frage mich bei den Formulierungen über den existierenden Teufel im Katechismus schon, ob sie geeignet sind, den Glauben weiter zu vermitteln.

Gibt es denn das personifizierte Böse?

Manche sehen heute Putin vielleicht so. Aber da ist die Gegenfrage: Verfällt man damit nicht in eine Logik der Verteufelung von Menschen, sodass man den, den man damit bezeichnet, entmenschlicht? Die Religionsgeschichte hat bis in unsere Tage gezeigt, dass das auch zur Legitimation von schrecklicher Gewalt missbraucht werden kann. Ich denke als ein Beispiel an die schlimmen Aussagen des russischen Patriarchen Kyrill, der den Westen verteufelt als das Böse, das bekämpft werden müsse, und damit den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine legitimieren will.

Die Rede vom Teufel wird missbraucht?

Ja, und das zeigt ja auch das Evangelium von diesem Sonntag. Die Figur des Teufels ist meiner Ansicht nach hier ein Strategem, also Kunstgriff zur Gewaltlegitimierung gegen Feinde. Aber die Jesusfigur in der Markus-Bibelstelle zeigt gerade auch die Absurdität dieses Teufels- und Dämonenglaubens auf. Da ist die Rede von einem in sich gespaltenen Reich.

Satan, Teufel, Beelzebul, Luzifer und der Antichrist: Wer ist da wer?

Es gibt hier eine große Spannbreite und Entwicklung in der Kulturgeschichte des Teufels: vom Mitarbeiter Gottes und Ankläger über den vom Himmel gestürzten Engel bis hin zum Diabolos als Widersacher, der alles durcheinanderbringt und die Gläubigen von Gott abspenstig machen will, sie verführt und von ihnen Besitz ergreift. Das sind ganz unterschiedliche Vorstellungen, die dahinterstehen, die auch so zum Teil nicht in der Bibel stehen. Das reicht bis zum Mephisto in Goethes „Faust“, der den Unglauben verkörpert und bezweifelt, dass die Welt in sich gut sein kann. So wurde in der christlichen Tradition aus dem Satan, der ursprünglich ein Verteidiger der Ehre Gottes war, ein Zweifler am Guten der Schöpfung und damit ein Gegner Gottes.

Zunächst hatte der Teufel eine gute Aufgabe?

Der Satan der Antike hatte die Funktion eines Überwachers des rechten Glaubens. Er war also so etwas wie ein Auge und Anwalt Gottes, ein Mitarbeiter und Diener des göttlichen Hofstaates, kein Gegner Gottes. Nach christlicher Überzeugung braucht es einen solchen Ankläger aber nicht mehr, weil Christus uns ein für alle Mal erlöst hat. Gottes Liebe zu den Menschen ist ohne Argwohn.

Ist es für mich aber nicht einfacher, mir den Teufel als das verkörperte Böse vorzustellen, von dem ich mich fernhalten muss?

Die Gefahr dabei ist, dass ich das Böse an den Teufel delegiere und eine Entschuldigung suche, weil ich gar nicht selbst dafür verantwortlich sein will, was ich tue. Das ist aber eine wirkliche Verantwortungslosigkeit, die schweren Schaden anrichtet. Die Vorstellung vom Teufel erklärt das Böse nicht, kann aber andere Menschen verteufeln und ihnen damit den Krieg erklären. Mit solchen einfachen Erklärungen des Bösen tut man niemandem einen Gefallen; hier muss eine gute Theologie des Teufels sehr kritisch sein.

Soll man als einfacher Christ die Rede vom Teufel besser bleiben lassen?

Natürlich muss jeder seinen Glauben mit den Mitteln zum Ausdruck bringen, die er hat. Es müssen auch nicht alle zu Theologinnen und Theologen werden. Papst Franziskus spricht ja selbst oft in einer untheologischen Alltagssprache vom Teufel. Wichtig ist zu unterscheiden, was die Rede vom Teufel anrichtet: Sie darf nicht zur Gewalt hinführen oder sie legitimieren. In der Theologie brauchen wir die Rede vom Teufel im Sinn einer Kritik dieser Inszenierung. 

Wo hat die Rede vom Teufel im Alltag auch ihr Gutes?

Die Stärke ist, dass mit dem Teufel eine Person inszeniert wird, die beweist, dass das Böse, das geschieht, nicht ein Verhängnis ist, sondern dass es eine Verantwortung gibt. Das Erschrecken davor soll vom Bösen abhalten.

Interview: Michael Kinnen