Hinweis

Ihre Browserversion wird leider nicht mehr unterstüzt. Dies kann dazu führen, dass Webseiten nicht mehr fehlerfrei dargestellt werden und stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wir empfehlen Ihnen, Ihren Browser zu aktualisieren oder einen der folgenden Browser zu verwenden:

Amt und Liebe gehören zusammen

Predigt von Bischof Dr. Friedhelm Hofmann am Ostersonntag, 16. April 2006, im Würzburger Dom

Zur Weltliteratur gehört der „Osterspaziergang“ von Johann Wolfgang von Goethe: „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche durch des Frühlings holden, belebenden Blick…“ Ein beglückendes Frühlingserwachen nach langer, kalter Winterzeit wird geschildert – und wir können es heuer besonders gut nachempfinden. Ein ganz anderer „Spaziergang“ wird uns im heutigen Evangelium nahe gebracht, kein literarisches Meisterwerk und doch große Weltliteratur, keine dichterische Erfindung und doch faszinierender als die größte Dichtkunst: Der Osterweg zum leeren Grab.

Rekapitulieren wir: Die Jünger waren nach der Kreuzigung Jesu Christi am Karfreitag untergetaucht. Sie wollten offensichtlich nicht das gleiche Schicksal wie ihr Herr erleiden. Vielleicht hielten sie sich im Abendmahlssaal von Jerusalem auf. Sie werden wohl überlegt haben, wie es mit ihnen weitergehen sollte. Alle Träume zerplatzt? Alle Pläne null und nichtig? Wir können uns sicherlich die auswegslose Situation gut vorstellen.

Da platzt eine Nachricht herein. Petrus und Johannes hören sie offensichtlich als erste: Maria von Magdala war zum erstmöglichen Termin nach dem Sabbat, am frühen Ostersonntag, zum Grab gegangen, in das man Jesus hineingelegt hatte. Aber sie hatte seinen Leichnam nicht gefunden. Ganz aufgeregt sagte sie: „Man hat den Herrn aus dem Grab weggenommen, und wir wissen nicht, wohin man ihn gelegt hat.“

Diese menschlich durchaus verständliche Vermutung brachte aber Petrus und Johannes auf die Beine. Sie wollten selbst nachschauen, was da wohl passiert war. Das fehlte noch, dass ihr Herr, der so schändlich ums Leben gebracht worden war, nun auch noch im Grab keine Ruhe finden sollte. Sie sind aufgeregt. Warum eigentlich? Ahnen sie doch, dass hinter dieser Nachricht mehr stecken muss als ein plumper Leichendiebstahl?

Sie laufen beide. Johannes ist jünger und auch schneller. Er kommt zuerst an das Grab, das Josef von Arimatäa für das Begräbnis Jesu zur Verfügung gestellt hatte. Aber jetzt passiert etwas ganz Erstaunliches, das man leicht überlesen kann: Er wartet. Er wartet auf Petrus. Er schaut zwar ins Grab und sieht die Leinenbinden und das Schweißtuch mit denen Jesus bedeckt war. Aber er geht nicht hinein. Vielleicht, weil er erstaunt war über die Leichentücher, die ja mit einem gestohlenen Leichnam mitgenommen worden wären?

Er wartet auf Petrus – und lässt ihm den Vortritt! Petrus geht hinein. Er überzeugt sich selbst, nimmt die Fakten wahr und sammelt die Indizien.

Warum wartet Johannes? Überlässt der Jüngere dem Älteren den Vortritt? Ist er einfach nur höflich?

Einer der bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts, Hans Urs von Balthasar, kommt zu einem ganz anderen Schluss: Er verweist auf die beiden Apostel Petrus und Johannes, denen jeweils eine herausragende Berufung und Bedeutung zukommt: Johannes ist der Jünger, der eine besondere Nähe zu Christus hatte, von dem es heißt, dass Jesus ihn besonders lieb hatte. Wir nennen ihn deshalb auch gerne „den Lieblingsjünger“. Er ist schneller als Petrus. Aber er wartet.

Petrus ist der erste Papst, der Fels, auf den Jesus seine Kirche gebaut hatte. Er bekam von Christus die Binde- und Lösegewalt übertragen. Er verkörpert das Amt in der Kirche.

Urs von Balthasar sagt: Johannes vertritt in der Kirche die Liebe, die Caritas, Petrus das Amt. Die Liebe ist schneller als das Amt. Aber die Liebe wartet! Sie lässt dem Amt den Vortritt, denn das Amt muss prüfen, was die Liebe entdeckt.

Nun dürfen wir allerdings nicht in den Fehler verfallen, als ob das Amt und die Liebe zwei unterschiedliche Weisen verschiedener Dienste in der Kirche wären. Papst Benedikt XVI. hat in seiner ersten Enzyklika, die weltweite Beachtung gefunden hat, wiederholt klargestellt, dass das Amt in der Kirche ohne Liebesbezug nicht denkbar ist. So verweist er in seiner Enzyklika auf die Fragen, die vor der Bischofsweihe dem Kandidaten gestellt werden und dessen Verantwortung für die Caritas, die Grundauftrag der gesamten Kirche ist, betonen. Ebenso habe kürzlich das Direktorium für den pastoralen Dienst der Bischöfe die verpflichtende Wahrnehmung der Caritas vonseiten der Bischöfe in den Diözesen konkreter entfaltet – und der Heilige Vater wörtlich – : „ und hervorgehoben, dass der Liebesdienst ein Akt der Kirche als solcher ist und dass er ebenso wie der Dienst am Wort und an den Sakramenten einen Wesensteil ihres grundlegenden Auftrags darstellt.“ (Nr. 32)

Das Amt und die Liebe gehören untrennbar zusammen. Und dennoch ist es wichtig, in der unaufhebbaren Einheit die Zuordnung zueinander zu respektieren, so wie es Johannes dem Petrus gegenüber getan hat. Die Liebe darf das Amt nicht aushebeln.

Das ganz Entscheidende unseres heutigen Evangeliums kommt zum Schluss. Nach Petrus geht auch Johannes in das Grab. Und es heißt: „Er sah und glaubte.“ Noch war die Botschaft von der Auferstehung nicht durchgedrungen, geschweige aufgeschrieben. Dies war ein längerer Prozess, an dem viele Zeugen der Begegnung mit dem Auferstandenen noch einbezogen werden mussten. Aber Johannes glaubt schon im leeren Grab.

Heißt das nicht, dass auch wir lernen müssen, mit den Augen des Herzens zu sehen und so den Auferstandenen wahrzunehmen? Dann aber wird auch unsere Freude grenzenlos sein. Amen.

(1606/0586)