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Gedanken zum Evangelium – Vierter Sonntag der Osterzeit

Will ich ein Kind sein?

„Wir heißen Kinder Gottes und sind es.“ Diese Worte aus dem ersten Johannesbrief leiten sehr oft in der Messfeier das Vaterunser ein. Aber was heißt das eigentlich: Kind Gottes sein? Und wollen Sie nicht mal erwachsen werden?

Evangelium

In jener Zeit sprach Jesus: Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt gibt sein Leben hin für die Schafe. Der bezahlte Knecht aber, der nicht Hirt ist und dem die Schafe nicht gehören, sieht den Wolf kommen, lässt die Schafe im Stich und flieht; und der Wolf reißt sie und zerstreut sie. Er flieht, weil er nur ein bezahlter Knecht ist und ihm an den Schafen nichts liegt.

Ich bin der gute Hirt; ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich, wie mich der Vater kennt und ich den Vater kenne; und ich gebe mein Leben hin für die Schafe. Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muss ich führen und sie werden auf meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten.

Deshalb liebt mich der Vater, weil ich mein Leben hingebe, um es wieder zu nehmen. Niemand entreißt es mir, sondern ich gebe es von mir aus hin. Ich habe Macht, es hinzugeben, und ich habe Macht, es wieder zu nehmen. Diesen Auftrag habe ich von meinem Vater empfangen.

Johannesevangelium 10,11–18

„Du bist nie zu alt, um eine Mutter zu brauchen.“ Dieser Satz fiel neulich in einer Netflix-Serie, die ich gerade schaue. Eine Tochter erinnert sich darin an eine Begebenheit, in der ihre Mutter das zu ihr sagte. Inzwischen ist die Mutter aber gestorben. Die Tochter ist eine gestandene Frau, eine Polizistin, selbstbewusst und mutig. Und trotzdem: Trotzdem vermisst sie manchmal ihre Mutter. Ihre Liebe, ihren guten Rat, vielleicht auch ihre nervigen Ermahnungen. „Du bist nie zu alt, um eine Mutter zu brauchen.“

An diese Szene musste ich denken, als ich den so bekannten Vers aus dem ersten Johannesbrief las: „Wir heißen Kinder Gottes und wir sind es ...“ Dieser Satz ist inzwischen die Standard-Einleitung ins Vaterunser der Messe und deshalb so bekannt, dass man selten darüber nachdenkt. Dabei bringt dieser Satz einige interessante Fragen mit sich:

1. Wir sind Kinder Gottes: Wer ist eigentlich dieses „Wir“?

Der Verfasser des Johannesbriefs schreibt an einen kleinen Kreis junger Christengemeinden. Ihnen sagt er: Wir in der Gemeinde sind Kinder Gottes. Und es scheint sogar so, als meine er diese Zuweisung exklusiv, sozusagen als Abgrenzung zum Rest der Welt: „Deshalb erkennt die Welt uns nicht, weil sie ihn nicht erkannt hat.“ Geschrieben ist der Brief gegen Ende des ersten Jahrhunderts. Der neue Glaube wurde von allen Seiten angegriffen: von der römischen Obrigkeit, von den jüdischen Gemeinden, aber auch von innen durch Irrlehren. Da galt es vielleicht tatsächlich, sich abzugrenzen.Wir dagegen tun uns schwerer damit. Das Bewusstsein dafür ist gestiegen, dass Gott nicht nur christliche Kinder hat. Wenn er der Schöpfer von allem ist, dann steht alles, was ist, in Beziehung zu ihm, dann geht die Gotteskindschaft weit über Religionszugehörigkeit hinaus.

2. Wenn wir Kinder sind: Betrachtet Gott uns dann als unmündig?

Wer Kinder hat, weiß: Es gibt keine unbedingtere Liebe. Die Liebe zwischen Erwachsenen kann vergehen, aber egal, was Kinder anstellen: Die Liebe zu ihnen vergeht nie. Und ich vermute: So ähnlich betrachtet es auch Gott. Egal, was wir anstellen, seine Liebe vergeht nie.

Vielleicht erlebt Gott aber auch das: Ein Baby zu lieben – süß, unschuldig und in allem abhängig von seinen Eltern – ist leicht. Aber wenn sie älter werden, die Kinder, und wenn sie Wege gehen, die Eltern für falsch halten oder die objektiv sehr falsch sind, dann kann die Sache mit der Liebe schmerzhaft werden. Und trotzdem ist es gut, dass aus Kleinen Große werden.

Denn mit dem Erwachsenwerden wird auch unsere Sicht auf geliebte Eltern qualifizierter. Wir schauen kritischer auf sie, hinterfragen manches und richten unsere Beziehung zu ihnen neu aus. Und ich vermute, das wird auch Gott gefallen: dass wir ihn gerade nicht unmündig lieben, sondern ein erwachsenes Verhältnis zu ihm aufbauen; dass wir selbstverantwortlich leben, glauben, handeln.

Viele Generationen haben darunter gelitten, im Glauben unmündig gehalten zu werden; selbst Bibellesen galt als verboten, kritische Nachfragen sowieso. Gehorsam glauben ohne Verstand: Gottes Wille war das bestimmt nicht.

3. Wenn wir erwachsen und selbstverantwortlich sind: Wofür brauchen wir dann Gott?

Auf diese Frage gibt die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland inzwischen eine klare Antwort: Wir brauchen ihn gar nicht. Noch nicht einmal in Not und Tod.

Allerdings ist brauchen und brauchen zweierlei. Womit wir wieder bei meiner Netflix-Serie sind: „Du bist nie zu alt, um eine Mutter zu brauchen.“ Nein, nicht um Essen zu kochen oder zur Unterstützung bei der Kinderbetreuung, beim Umzug oder bei Versicherungsangelegenheiten. Das tägliche Leben bekommen wir irgendwann auch ohne Eltern gewuppt. Aber zu wissen, dass da eine Liebe ist, die uns immer auffängt – das kann uns auch im Erwachsenenalter Sicherheit und Geborgenheit vermitteln.

Zu ahnen, ich kann nie tiefer fallen als in Gottes Hand – dafür brauche ich Gott. Vielleicht brauche ich ihn aber auch als Stachel im Fleisch. Als kleinen Piekser, wenn ich es mir in meinem Leben allzu gemütlich eingerichtet habe. Ja, vielleicht auch als moralischen Kompass. Als denjenigen, der mir sagt: Vergiss nicht, was du eigentlich für richtig hältst. Ohne mich dabei zu zwingen. Genauso wie ich meinen Sohn nicht zwingen kann, für die anstehenden Abiturprüfungen zu lernen. Aber ich kann ihn pieksen. Auch Nervigkeit ist wichtig. Und warum sollte uns nicht Gott manchmal nerven, wie ein Vater oder eine Mutter es tun?

4. Wenn wir Kinder Gottes sind: Verpflichtet uns das zu irgendetwas?

Bekanntlich sagt das vierte Gebot: „Du sollst Vater und Mutter ehren.“ Gut, der Begriff „ehren“ ist heute ein bisschen aus der Mode und schwierig. Aber die (alten) Eltern nicht einfach links liegen zu lassen, sondern Kontakt zu halten, ihnen beizustehen und nach Möglichkeit für sie da zu sein, das wird schon dazugehören.

Und ich vermute, dass auch Gott das gefallen wird: Wenn seine Kinder ihn nicht links liegen lassen, sondern Kontakt halten – auf welche Weise auch immer. Und dass er umgekehrt vielleicht traurig ist, wenn wir uns nicht nur selbstständig machen, sondern uns radikal von ihm lossagen, indem wir ihm einfach keinen Platz mehr in unserem Leben einräumen.

Der Glaube daran, Kind Gottes zu sein, könnte uns auch dazu bringen, anderen Menschen dasselbe zuzugestehen: Kind Gottes zu sein. Und damit gleichrangig und gleichwertig mit uns selbst. Gut, das Verhältnis von Geschwistern ist oft suboptimal, manchmal sogar zerrüttet – aber hasserfüllt dann doch eher selten. Deshalb legt die Ahnung, dass wir alle Kinder desselben Vaters sind, des einen Gottes, die Basis für Dialog, Frieden und fundamentale Gleichberechtigung von Kulturen und Religionen. Und ja, dazu sind wir als Kinder Gottes verpflichtet!

Susanne Haverkamp